Passionspunkte - wunde Punkte - Umkehrpunkte

Passionspunkte - “wunde Punkte” - Umkehrpunkte

Ideen & Anregungen für Andachten

in der Mitte der Gesellschaft 

(nicht nur) in der Passionszeit

(formuliert von Sonja Manderbach)

 

In der Passionszeit - aber auch zu anderen Zeiten im (Kirchen)Jahr, z.B. an Johanni, am Buß- & Bettag, als Besonderheit in der “Sommerkirche”, als Impuls an Kur- & Urlaubsorten, als Reaktion auf politische & gesellschaftliche Ereignisse bietet sich folgende Andachtsform an: 

Mit der üblichen Form der Ankündigung - Flyer, Plakate, Abkündigungen, Pressemitteilungen, Veranstaltungshinweise im Gemeindeblatt … - werden Bürger*innen einer Stadt, eines Bezirks oder einer Gemeinde eingeladen, zu einem bestimmten Treffpunkt im Ort oder im Umkreis einer Ortschaft zu kommen, um dort eine Andacht zu feiern. 

Dieser Treffpunkt ist ein “wunder Punkt” der Stadt oder Gemeinde oder der Region: 

Hier kann sich ein schwerer Unfall ereignet haben, der alle Bürger*innen erschüttert hat. Denkbar ist auch, dass es sich um einen Unfallschwerpunkt handelt. Es kann eine Stelle sein, die für Fußgänger*innen und/oder Radfahrer*innen und Kinder im Straßenverkehr besonders gefährlich ist. 

Es kann einen Konflikt um die Nutzung dieses Ortes geben, bei dem wirtschaftliche Interessen gegen das Bedürfnis aller Lebewesen, dass ihre Lebensgrundlagen erhalten und nicht zerstört werden, abgewogen werden, als handele es sich um zwei gleichbedeutende unterschiedliche Vorlieben - als sei es eine Geschmacksfrage, ob die Lebensgrundlagen künftiger Generationen zerstört oder erhalten werden sollen.   

Hier kann eine jüdische Familie gelebt haben, die von den Nationalsozialisten deportiert wurde. Es kann an dieser Stelle auch in den vergangenen Jahrzehnten einen rassistischen oder antisemitischen Anschlag oder immer wieder Kundgebungen und Demonstrationen mit rechtspopulistischen und rechtsextremen Aussagen gegeben haben. 

Hier kann ein Straßenname auf einem Straßenschild stehen, der dringend umbenannt werden sollte, weil dieser Straßenname rassistisch und unreflektiert aus der Kolonialzeit übernommen wurde.

Buchtipps dazu: “Demokratie im Feuer” und “Klimarassismus”

Es kann sich um einen Ort handeln, der im Kontext KlimaSchutz, UmweltSchutz, NaturSchutz, ArtenSchutz von großer Bedeutung ist, zum Beispiel ein bedrohtes Naturschutzgebiet, ein Waldstück oder eine Moorlandschaft, die durch den Bau eines Einkaufszentrums, Möbelhauses oder einer Autobahn bedroht ist. Eine Straße, auf der jedes Jahr viele Tiere sterben. Ein Ort, an dem im Zusammenhang mit einem Unfall schon einmal viel Mineralöl oder andere giftige Stoffe in den Boden und ins Wasser gelangt sind. Oder ein Ort, der mit Atommüll zu tun hat. 

An diesem Treffpunkt könnte auch schon einmal eine Straßenblockade der Letzten Generation stattgefunden haben. … 

Hier könnte die Gefangenensammelstelle, die Polizeistation oder das Amtsgericht sein, in dem sich nicht nur die Bürger*innen der Letzten Generation vor den KlimaKippPunkten, die friedfertigen zivilen Widerstand gegen die Zerstörung von Lebensgrundlagen leisten, sondern auch Klima-Aktivist*innen aus anderen Gruppen der KlimaGerechtigkeitsBewegung seit Jahren rechtfertigen müssen, weil sie kriminalisiert werden, anstatt dass diejenigen, die alltäglich in großem Umfang Lebensgrundlagen durch das fossile Weiter-so zerstören, zur Rechenschaft und Verantwortung gezogen werden und vor allem durch entsprechende Gesetze dazu gezwungen werden, die Zerstörung von Lebensgrundlagen endlich zu beenden. 

An dieser Stelle könnten die Kundgebungen von Fridays for Future stattgefunden haben oder noch immer regelmäßig stattfinden, ohne dass angemessen auf diese Appelle reagiert wird. 

Hier könnte sich ein Parteibüro oder ein Medien-/Pressehaus befinden, an das wir appellieren möchten, auf die wissenschaftlich bewiesene Dringlichkeit der Klima-Katastrophe mit dazu passender Berichterstattung und mit passenden politischen Entscheidungen zu reagieren. 

Denkbar ist auch, sich auf dem Parkplatz vom Supermarkt oder vor einer Apotheke, einem Klinikum oder Therapiezentrum zu treffen, um zu thematisieren, dass Versorgungssicherheit und stabile Lieferketten von Nahrungsmitteln und Medikamenten keinesfalls so selbstverständlich sind, wie wir das alltäglich gerne glauben. Das hat uns die Corona-Krise gezeigt, die im Verhältnis zur KlimaKatastrophe und Biodiversitätskrise noch nicht einmal so ein großes Ausmaß angenommen hat, wie das, was in den kommenden Jahren und Jahrzehnten global und auch hierzulande auf die Menschheit zukommen wird. 

Auch vor den Lebensmittel-Containern könnte daran erinnert werden, dass jede Minute eine LKW-Ladung genießbarer Lebensmittel vernichtet wird, um die Preise und Gewinnspannen stabil zu halten, während Menschen hungern und während Menschen in der Lebensmittel- und Agrarindustrie ausgebeutet werden und durch die Überproduktion und den Überimport Tierwohl und Menschenrechte verletzt werden, Böden und Ressourcen ausgelaugt werden und der Lebensmittelmüll der EU 4% der CO2-Emissionen ausmacht …   

Denkbar ist außerdem, sich an die lokale Ortsgruppe von “Letzte Generation”, von “Christians for Future”, “Churches for Future”, “Christian Climate Action”, “Fridays for Future”, “Parents for Future”, “Teachers for Future”, “Psychologists for Future”, “Scientists for Future”, “Scientist Rebellion” oder eine andere Gruppe, die sich vor Ort engagiert für Frieden, Bewahrung der Schöpfung, Soziale bzw. Klima-Gerechtigkeit, Seenotrettung für Menschen, die vor den Folgen der KlimaKatastrophe oder vor Krieg, Bürgerkrieg, Terror oder politischer Verfolgung fliehen, oder an eine Gruppe, sich allgemein gegen Rechtsruck, für Demokratie, für Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit und für sozial-ökologische Wende einsetzt, zu wenden, um diese zur Mitgestaltung dieser besonderen Andacht einzuladen.

Eine gute Idee ist es auch, den Kirchenchor oder Posaunenchor oder einen Frauenkreis oder Konfirmand*innen oder Firmlinge oder eine Schule oder das ökumenische Team der Weltgebetstagsfrauen o.ä. sowohl in die Vorbereitung als auch in die Gestaltung dieser besonderen “Outdoor-Andacht” einzubeziehen. Auf diese Weise ist erstens schon mal sicher gestellt, dass man da nicht allein oder zu zweit oder dritt steht, sondern dass da auf jeden Fall eine Andachtsgruppe zusammenkommt. Wenn alle dann noch ein bis drei Leute mitbringen … Und dann “stört” das auch mehr im Alltag und der “wunde” Punkt dringt stärker ins Bewusstsein der Passant*innen oder Anwohner*innen … Und die Fotos oder Filme für Social Media oder Zeitungsartikel sind auch imposanter. 

An diesem Ort wird dann zur vereinbarten Zeit mit den Menschen, die dazu kommen, eine Andacht gefeiert. Diese Andacht darf durchaus mitten im Alltag stören, weil Menschen um die Andacht haltende Gruppe herum gehen müssen; weil sie die Lieder und Texte hören oder Bilder sehen, während sie vorbei gehen - so wie ein Stolperstein “stört” bzw. mahnt, erinnert und appelliert. … 

Denen, die bewusst zur Andacht gekommen sind, hilft diese, ihren eigenen Alltag einmal ganz bewusst zu unterbrechen und sich mit den Multikrisen unserer Zeit, die alle durch die voranschreitende KlimaKatastrophe, die längst begonnen hat, wie ein Brennglas verschärft werden, zu verbinden. 

Die Andacht sollte etwa 30 min - nicht länger als 45 min - dauern. Es empfiehlt sich, danach noch eine Möglichkeit für Gespräche anzubieten.

Fotos von dieser Andacht, sowie Texte und Lieder können beim nächsten Gemeindenachmittag, Familiengottesdienst, Hauptgottesdienst oder weiteren Passionsandachten in der Kirche oder im Gemeindehaus noch einmal aufgegriffen werden. Außerdem kann es eine Nachbesprechung dieser besonderen Andacht nicht nur im Gemeindeblatt, sondern auch in der Lokalpresse geben. Es könnte also auch die Presse vorher eingeladen werden, eine Person oder ein kleines Team für die Presse- und Social-Media-Arbeit zuständig sein. 

Auch in diese Aufgabenverteilung können sowohl aktive Gemeindemitglieder, die im Kirchenalltag tragende Rollen spielen, als auch Menschen aus anderen Kontexten (wie den oben genannten Klima-, Umwelt-, Natur-, Artenschutz-Gruppen oder den Gruppen, die sich aktiv gegen den drohenden Rechtsruck stellen, zum Beispiel die “Omas gegen Rechts” oder “Seebrücke” usw. …) einbezogen werden. Denn das Ziel dieser Andachts ist es, die eigene Komfortzone und auch die eigene Filterblase zu verlassen und mitten im Alltag - in der Mitte der Gesellschaft - auf die Dringlichkeit zur Umkehr - zum Verlassen des fossilen Weiter-so-Kurses hinzuweisen. (Es kann aber auch eine etwas weniger aufwändige Andacht mitten im Alltag an einem “wunden” Punkt sein. …) 

Vorschläge für passende Texte, Gedanken, Statements, Lieder usw. befinden sich hier in der Online-Materialsammlung.