Warum ziviler Ungehorsam in der Klimakatastrophe?

Wir haben jahrelang alles andere versucht, Demonstrationen, Petitionen, Mails an Politiker*innen, in der eigenen Umgebung etwas verändern etc. Doch die Veränderung geht zu langsam. Aufgrund der Dringlichkeit der Klimakrise haben wir daher keine andere Wahl mehr.

19% der Weltbevölkerung im Globalen Norden sind historisch betrachtet für 92% der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich, die restlichen 81% der Weltbevölkerung lediglich für 8%. Seit Jahrhunderten und bis heute kämpfen viele indigene Menschen (oft unter Lebensgefahr) gegen die Umweltzerstörung und für ihre Rechte. Rund 80% der weltweiten Tier- und Pflanzenarten befinden sich in indigenen Territorien, damit sind die dort lebenden indigenen Gemeinschaften die Hüterinnen der Wälder und der verbliebenen Biodiversität. Wir Menschen aus dem Globalen Norden, die die Welt mit ihrer jahrhundertelangen Ausbeutung an den Abgrund gebracht haben, stehen daher in der Verantwortung, unseren Umgang mit der Welt umgehend zu ändern

Auch bei uns in Europa erklären Wissenschaftler*innen seit Jahrzehnten, dass wir dringend unsere Lebensweise ändern müssen. Zusätzlich setzen sich schon lange Menschen aus Zivilgesellschaft und Kirche für „Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung“ ein. Aber nichts davon hat zu der physikalisch notwendigen Klimapolitik und zu effektivem Arten- und Naturschutz geführt. Der Verbrauch von Kohle, Öl und Gas ist 2023 im Vergleich zu 2022 weltweit sogar noch um 1,5 % angestiegen, die energiebedingten jährlichen Emissionen sogar um 2,1 %. Der jährliche Waldverlust stieg in den Jahren 2022 bis 2023 sogar von 22,8 Megahektar auf 28,3 Megahektar. In einer Umfrage, in der im Jahr 2024 hunderte Klimawissenschaftler*innen des IPCC, also des Weltklimaberichts, befragt wurden, gehen aufgrund der aktuellen Klimapolitik fast 80 % davon aus, dass die globalen Temperaturen bis zum Ende des Jahrhunderts um mindestens 2,5 °C über das vorindustrielle Niveau steigen werden und fast 50% sagen sogar einen Anstieg von mindestens 3 °C voraus. Technisch gesehen gibt es noch die Möglichkeit, das vorübergehende Überschreiten des 1,5 Grad-Limits („overshoot“) umzukehren. Allerdings sind sich Forschende sicher, dass einige der durch die Klimakatastrophe ausgelösten Schäden irreversibel sein werden. 1,5° C Erwärmung ist kein zufälliger Wert, sondern die Grenze ab der die Klimarisiken durch Überschreiten irreversibler Kipp-Punkte rasant zunehmen und Ökosysteme zunehmend destabilisiert werden. Und schon jetzt sind die Folgen der globalen Erd-Überhitzung katastrophal. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, jedes Zehntel Grad Erwärmung zu vermeiden. Daher sollte Deutschland unbedingt bis 2030 aus der Nutzung fossiler Energieträger aussteigen. Das wäre technisch möglich – aber politisch sieht es leider momentan nicht so aus, dass alles für den Erhalt der Lebensgrundlagen auch künftiger Generationen (Art 20a GG) getan werden würde. Über 80 Verfassungsrechtler*innen betonen in einer gemeinsamen Erklärung vom 31.08.2023, dass das Bundesverfassungsgericht im März 2021 deutlich gemacht hat, dass das Grundgesetz zu wirksamen Maßnahmen gegen die Erderwärmung verpflichtet.

Realistisch betrachtet werden all die Bemühungen, die in den letzten Jahrzehnten nicht zu einer grundlegenden Änderung der Klimapolitik geführt haben, auch jetzt nicht dazu führen. Aber es ist keine Option aufzugeben. Wenn man sich historisch anschaut, wie Umschwünge, die zuvor für unmöglich gehalten wurden, doch erreicht werden konnten, so findet man immer wieder die Methode des friedlichen zivilen Ungehorsams. Wir hier in Deutschland befinden uns in der glücklichen Lage, in einer Demokratie zu leben. Wir dürfen protestieren, ohne um unser Leben fürchten zu müssen – das ist in vielen Ländern des globalen Südens aufgrund von Auswirkungen (neo)kolonialer Machtstrukturen ganz anders. Auch deshalb dringen Menschen im Globalen Süden darauf, dass wir dieses Privileg nutzen und uns hier in Deutschland unignorierbar für eine Klimapolitik, die ihre Menschenrechte schützt, einsetzen. Als ein Beispiel zitiere ich kurze Ausschnitte aus einem Solidaritäts-Statement des Direktors des Jesuit Justice and Ecology Network Africa: „Wir begrüßen und unterstützen die mutigen Aktionen so vieler Menschen in ganz Deutschland für Klimagerechtigkeit. […] Deutschland und die Europäische Union müssen dringend handeln. Unser Leben hängt davon ab. Die Menschen, die deutsche Straßen blockieren, setzen sich für uns ein.“